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Öffentliche Beschaffungen und Ihre Annäherung an Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit nimmt in der öffentlichen Diskussion, speziell im wirtschaftlichen und politischen Kontext, in den letzten 20 Jahren einen zunehmend hohen Stellenwert ein. Wirtschaft und Einkäufer werden dabei durch Gesetzesvorgaben und politische Programme zunehmend in die Pflicht genommen. Beschaffungen des Bundes unterliegen beispielsweise seit Anfang 2022 der Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen – kurz AVV Klima).

Die Universität der Bundeswehr München hat sich mit dem Thema in einer Studie beschäftigt, um herauszufinden, wie es um die Nachhaltigkeit in öffentlichen Beschaffungen bestellt ist.

Dafür wurden unter anderem Vergabeverfahren für Reinigungsmittel, -geräte und -dienstleistungen unter die Lupe genommen. Im Folgenden werden die Kernergebnisse noch einmal zusammengefasst.

Nachhaltigkeit: Was? Seit wann? Und warum?

Ein kurzer Abriss

Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist dabei keineswegs eine Erkenntnis der letzten Jahrzehnte. Die erste Definition stammt von Hans Carl von Carlowitz aus dem Jahr 1713 und bezog sich damals auf die Forstwirtschaft. Er forderte eine Waldbewirtschaftung, bei der nur so viel Wald geschlagen wird, wie wieder nachwächst.

In den letzten Jahrzehnten werden die Auswirkungen des menschgemachten Klimawandels immer sichtbarer und folgenschwerer. Mit steigendem Problemlösungsdruck wächst auch der Druck auf Politik und Wirtschaft, nachhaltigere Formen des Wirtschaftens zu implementieren. Die öffentliche Hand ist ein finanzstarker Einkäufer und damit Impulsgeber an die freie Wirtschaft. Sie beschäftigt sich ebenfalls mit der Integration von Nachhaltigkeitskriterien in den Beschaffungsprozess. In den letzten Jahren verlagerte sich der Fokus dabei von der sogenannten umweltorientierten und nachhaltigen Beschaffung zu kreislauforientierter Beschaffung.

Letztere bezeichnet nach Definition der Europäischen Kommission[1] den Prozess, „bei dem öffentliche Auftraggeber Aufträge zur Durchführung von Arbeiten, Lieferung von Produkten oder Erbringung von Dienstleistungen vergeben, um einen Beitrag zu geschlossenen Energie- und Materialkreisläufen innerhalb von Wertschöpfungsketten zu leisten und zum anderen nachteilige Umweltauswirkungen sowie die Entstehung von Abfällen im gesamten Lebenszyklus der jeweiligen Arbeiten, Produkte oder Dienstleistungen zu minimieren bzw. im Idealfall vollständig zu vermeiden.“

Die vergaberechtlichen Möglichkeiten sind gegeben

Mit der „Agenda 2030“ für nachhaltige Entwicklung wurde Nachhaltigkeit in der Beschaffung bereits im Jahr 2016 als bedeutsames Ziel der Vereinten Nationen festgelegt (Sustainable Development Goal Nr. 12.7).[2] Das Erfordernis einer umweltfreundlicheren Gestaltung der öffentlichen Beschaffung ist auch auf EU-Ebene erkennbar. Die Vergabe öffentlicher Aufträge wird von der Europäischen Union explizit als Beitrag zur Markt- und Wachstumsstrategie „Europe 2020“ verstanden. Im März 2020 veröffentlichte die EU-Kommission einen zusätzlichen Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft, der die Einführung von verbindlichen Mindestkriterien für eine nachhaltige Beschaffung und ein Monitoring der Beschaffungsstellen vorsieht.[3] Vonseiten des Gesetzgebers wurde nachhaltige bzw. kreislauforientierte Beschaffung bereits im Rahmen verschiedener Verwaltungsvorschriften implementiert.

Nach nationalem Recht muss der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erfolgen (§58 VgV). Das ist so weit nichts Neues. Vielen öffentlichen Einrichtungen ist allerdings noch nicht bewusst, dass für die Leistungsparameter explizit auch „qualitative, umweltbezogene oder soziale Zuschlagskriterien berücksichtigt werden“[4] können. (Das umfasst beispielsweise „die Qualität, einschließlich des technischen Werts, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Zugänglichkeit der Leistung, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, die Übereinstimmung mit Anforderungen des „Designs für Alle“, soziale, umweltbezogene und innovative Eigenschaften sowie Vertriebs- und Handelsbedingungen“[5]) (§58, Abs. 2, VgV).

Für den Preis-Parameter sieht das Vergaberecht die Möglichkeit vor, anstelle des Preises auch die (Lebenszyklus-)Kosten einzusetzen (§59, Abs. 1, VgV). Darin sind die Anschaffungs-, Nutzungs-, und Wartungskosten enthalten sowie die Kosten am Ende der Nutzung (z. B. Entsorgungs- oder Recyclingkosten). Zudem können externe Effekte der Umweltbelastung (z. B. Emissionen) in den Lebenszykluskosten berücksichtigt werden (§59, Abs. 2, VgV). In der konkreten Umsetzung allerdings haben sich diese Regelungen noch längst nicht umfänglich durchgesetzt, wie die Studie belegen konnte.

Defizite in der Umsetzung

Dieser Teil der Studie, der hier noch einmal detaillierter dargelegt ist, zeigte auf, dass Nachhaltigkeit in der Beschaffung bisher meist nur oberflächlich angerissen statt vollumfänglich umgesetzt wird.

In der Untersuchung wurden 160 Vergabeverfahren auf integrierte Nachhaltigkeitsaspekte analysiert. Zwar konnten weit über tausend Textstellen zum Thema ökologische Nachhaltigkeit identifiziert werden; bei näherer Betrachtung allerdings handelte es sich überwiegend um allgemeine Hinweise, beispielsweise zu gesetzlichen Anforderungen. Konkrete Zuschlagskriterien mit Nachhaltigkeitsbezug konnten dagegen nur in auffallend wenigen Vergabeverfahren nachgewiesen werden. Damit ist keine Profilierung besonders nachhaltiger Bieter möglich – und damit auch keine Transformation der freien Wirtschaft in Richtung tatsächlicher Nachhaltigkeit.

Im Anschluss an diese quantitative Erhebung wurde in einer „Tiefenanalyse“ untersucht, wie dieses Beschaffungsverhalten zustande kommt.

Dazu wurden zwölf Fallstudien bei öffentlichen Auftraggebern durchgeführt, um Voraussetzungen und Erfolgskriterien zu ermitteln, wie Nachhaltigkeitsanforderungen tatsächlich Eingang in die Beschaffungspraxis finden können. Im Detail dargelegt finden Sie alle Ergebnisse in der Studie, die uns von der Uni Bw-M zur Bereitstellung in unserem Downloadbereich kostenfrei zur Verfügung gestellt wurde

Von Vorreitern und Zögernden: Nicht immer liegt es an den etablierten Gegebenheiten

Nach dieser Analyse lassen sich die öffentlichen Einkäufer in vier Kategorien einteilen, was ihren Fortschritt bei der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Beschaffung angeht – nämlich in „Einsteiger“, „Vorreiter“, „Ambitionierte“ und „Zögernde“.

Die größte Gruppe stellen die so benannten „Einsteiger“ dar. Sie haben Nachhaltigkeitskriterien bisher kaum konkret in ihren Ausschreibungen implementiert. Die Hauptgründe dafür waren vor allem fehlende Voraussetzungen wie mangelnde personelle bzw. zeitliche Kapazitäten, fehlendes Know-how zur Implementierung nachhaltiger Beschaffung, zu wenig Kommunikation mit den Bedarfsträgern oder fehlende Weisungen durch die Hausleitung.

Auf der anderen Seite konnten jedoch auch drei „Vorreiter“ der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung identifiziert werden. Diese haben Nachhaltigkeit bereits als feste Größe auf verschiedenen Ebenen ihrer Vergabeverfahren implementiert, teilweise auch als Zuschlagskriterien. Zudem gab es in dieser Gruppe etablierte Beschaffungsleitlinien mit Bezug zur Nachhaltigkeit und die erforderliche personelle Besetzung, sowohl was Know-how als auch Kapazitäten angeht. In einem Fall war eine „Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung“ geschaffen worden, die sich der Thematik in Vollzeit widmen kann. In einem Fall war zudem eine auf nachhaltige Anforderungen angepasste IT-Lösung integriert.

Bei den beiden weiteren identifizierten Gruppen standen Umsetzungsstand und gegebene Voraussetzungen nicht unbedingt in einem logischen Verhältnis: Bei zwei der befragten Institutionen war Nachhaltigkeit in der Beschaffung bereits (teilweise) implementiert, obwohl die Voraussetzungen (wie vorhandene Beschaffungsleitlinien, ausreichende Kapazitäten oder intensive Kommunikation zwischen den Stellen) nur begrenzt gegeben waren. Hier zeichnete sich ein besonders hohes Engagement der Entscheidungsträger ab, sodass Nachhaltigkeit so gut wie möglich bereits in den Vergabeverfahren mitgedacht wurde. Zwei der zwölf befragten Einrichtungen wurden dieser Gruppe zugeordnet.

Umgekehrt sieht es bei den sogenannten „Zögernden“ aus: Hier waren die Voraussetzungen mehrheitlich gegeben, dennoch wurden Vergabeverfahren noch nicht so nachhaltig ausgelegt, wie es im Vergleich zu den weiteren Befragten zu erwarten gewesen wäre. In diesen Fällen schienen Faktoren außerhalb des Einflusses der jeweiligen Organisationen die Entwicklung zu bremsen. So bestand beispielsweise ein Konflikt zwischen den Nachhaltigkeitsvorgaben und dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Bundeshaushaltsordnung. Oder auch darin, dass noch zu wenige nachhaltige Bieter auf dem Markt sind für die benötigte Leistung.

Jetzt wird’s konkret: Ein Praxistool für nachhaltigere Beschaffungen von Reinigungsleistungen

Die Studie verfolgte insgesamt das Ziel, Stellschrauben zu identifizieren, die eine Implementierung von Nachhaltigkeitskriterien in die Praxis der öffentlichen Beschaffung erleichtern. Die Untersuchungsergebnisse wurden dazu genutzt, ein konkretes Werkzeug zur Ausschreibungshilfe zu entwickeln, das für Beschaffungen von Reinigungsleistungen variabel eingesetzt werden kann. In detaillierten Step-by-Step Anweisungen werden operative sowie strategische Einkäufer durch den kompletten Beschaffungsprozess gelotst; von der Vor- bis zur Nachbereitung. Das Tool, das nach mehreren Entwicklungsrunden praktisch erprobt ist, steht Ihnen hier kostenfrei zur Verfügung.


[1] Europäische Kommission (2018). Öffentliche Auftragsvergabe zur Förderung der Kreislaufwirtschaft. Bewährte Verfahren und Leitlinien (https://ec.europa.eu/environment/gpp/pdf/cp_european_commission_brochure_de.pdf)

[2] Vgl. United Nations (2021)

[3] Vgl. Europäische Kommission (2020)

[4] Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2016)

[5] Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2016)