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Hohe Erwartungen an mehr Nachhaltigkeit in der neuen Regierungskoalition

Von der noch jungen „Ampelkoalition“ erhoffen viele sich nicht nur neue Impulse, sondern vor allem konkrete Umsetzungen in Sachen proaktiver Klimapolitik. Ein nicht zu unterschätzender Baustein ist, die öffentliche Hand mit ihrer Marktmacht und Signalwirkung auf die freie Wirtschaft zu konsequent nachhaltigen Beschaffungen zu verpflichten. Ein Einblick in den Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP soll zeigen, inwieweit diese Erwartungen erfüllt werden.

Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind TOP Themen im Koalitionsvertrag

Schon beim ersten Blick ins Inhaltsverzeichnis fällt positiv auf: Das Thema „Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ nimmt gleich hinter digitaler Entwicklung und Innovation einen prominenten zweiten Platz im inhaltlichen Teil des Koalitionsvertrages ein. Bereits im ersten Kapitel „Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovationen“ wird deutlich, dass diese im Dienste einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung vorangetrieben werden. So ist beispielsweise festgehalten, dass Rechenzentren ökologisch nachhaltig ausgelegt werden sollen, unter anderem indem ihre Abwärme zur Energiegewinnung genutzt wird. Öffentliche Rechenzentren sollen bis 2025 nach EMAS zertifiziert sein. Neue Rechenzentren erhalten die Auflage, bis 2027 klimaneutral zu operieren. Für öffentliche Beschaffungen des Bundes im Bereich IT werden Zertifizierungen „wie z. B. der Blaue Engel“ als Standard festgeschrieben (vgl. S. 18 des Koalitionsvertrages).

Innovationen sollen speziell in den Zukunftsfeldern klimaneutrale Industrie, Klima und Klimafolgen, Biodiversität und Nachhaltigkeit im Allgemeinen sowie nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung vorangetrieben werden.

Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit im Beschaffungswesen

Das Kapitel „Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ wird mit dem Statement eröffnet, dass der Schutz von Umwelt, Natur und Ressourcen essenzieller Bestandteil des politischen Handelns der Regierungskoalition sein soll. Als Leitlinie werden die 17 sogenannten Sustainable Development Goals genannt, die 2015 gemeinsam von den Vereinten Nationen als „Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung“ angenommen wurden.

Die Verbindlichkeit von Nachhaltigkeitsstrategien soll laut Koalitionsvertrag im konkreten Handeln der neuen Regierung erhöht werden – die öffentliche Hand dabei in ihren Beschaffungen „mit gutem Beispiel vorangehen.“

In der Konsequenz sollen beispielsweise Absatzmärkte für klimafreundliche Produkte geschaffen bzw. erweitert werden, indem ihnen unter anderem Mindestquoten in der öffentlichen Beschaffung eingeräumt werden.

Konkret thematisiert werden die geplanten Neuerungen im Beschaffungswesen ab S. 33 des Koalitionsvertrages: Dort heißt es, dass öffentliche Vergaben vereinfacht, professionalisiert, digitalisiert und beschleunigt werden sollen. Bestehende Anforderungen sollen entsprechend des europäischen Vergaberechts auf nationaler Ebene präzisiert werden. Weiterhin wird betont, dass in öffentlichen Vergaben nicht nur Anschaffungskosten zu beachten sind; auch Klima- und Umweltkosten von Beschaffungen werden dank eines neu zu entwickelnden Systems mitberücksichtigt und eingepreist. Durch rechtssichere, digitale Plattformen sollen Vorqualifizierungen von Unternehmen ermöglicht und Vergabeprozesse insgesamt verschlankt werden. Sowohl bei der Vereinfachung der Verfahren als auch bei der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten will die Regierung Länder und Kommunen unterstützen.

Die Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung ist ein weiterer Punkt zum Umbau der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit. Dazu soll auch das ökologische wie ökonomische Potenzial des Recyclings vollumfänglich genutzt werden. So können einerseits Ressourcen geschont und neue Arbeitsplätze geschaffen werden, namentlich in den Bereichen Produktdesign, Recyclat und Recycling. Ein klarer Hinweis, wie sich diese Prämisse im Beschaffungswesen künftig niederschlagen soll, fehlt an dieser Stelle.

Überfällig: Implementierung des EU-Lieferkettengesetzes

Die Ampelkoalition betont weiterhin die Unterstützung des EU-Lieferkettengesetzes, basierend auf den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Das Gesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, faire Arbeitsbedingungen und die Einhaltung von Umweltstandards entlang ihrer gesamten Liefer- und Zuliefererkette einzuhalten. Oder anders ausgedrückt: Unternehmen, die Schäden an Mensch und/oder Umwelt in Kauf nehmen oder verursachen, werden künftig dafür haftbar gemacht.

Während sich der Koalitionsvertrag der „Ampel“ noch vollmundig zur Unterstützung und Durchsetzung des Gesetzes bekennt, hakt es unterdessen daran, den Gesetzesentwurf tatsächlich auf den Weg zu bringen – bereits zum dritten Mal wurde eine Entscheidung darüber vertagt. Das mag teils an der Komplexität des Gesetzesentwurfs liegen, teils aber sicherlich auch an massivem Gegenwind seitens europäischer Unternehmensverbände. Ende Februar / Anfang März 2022 wird mit einer neuen Vorlage des Entwurfs gerechnet. Bis allerdings die notwendigen Zertifizierungseinrichtungen geschaffen wurden und Unternehmen ihrerseits Anpassungsstrategien erarbeitet haben, um die neuen Richtlinien in die Praxis zu bringen, werden voraussichtlich noch einige Jahre vergehen.

Mehr Nachhaltigkeit in der wirtschaftlichen Verwendung von Chemikalien

Für die öffentliche Beschaffung von Reinigungsmitteln und Reinigungsleistungen wird sich auch der Bietermarkt verändern: Die Chemieindustrie soll in ihrer Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft und Nachhaltigkeit gestärkt werden. Dafür soll auch der Einsatz gesundheitsgefährdender Substanzen besser erfasst und unterbunden werden. Im Koalitionsvertrag wird dazu zwischen den Regierungspartnern vereinbart, die REACH Verordnung (EU-Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe)weiterzuentwickeln. Auf nationaler Ebene soll zudem ein Plan zum Schutz vor hormonaktiven Chemikalien erarbeitet werden, wodurch Umwelt und Verbraucher zukünftig besser vor jenen bedenklichen Inhaltsstoffen geschützt werden, die nicht den EU-Zulassungsstandards entsprechen. Auch das Human-Biomonitoring soll mit Förderungen weiter vorangebracht werden; mit diesem Werkzeug wird erfasst, wie stark die Belastung verschiedener Bevölkerungsgruppen mit Umweltgiften ist, um entsprechende gesundheitsbezogene Maßnahmen zur Schadstoffminderung steuern zu können.

Doch nur mit Schadensbegrenzung soll es nicht getan sein. Die Koalitionspartner verständigen sich weiterhin darauf, die Entwicklung nachhaltiger Chemikalien zu fördern und somit auch den Innovationsstandort Deutschland zu stärken.

Konkrete Vorhaben zur Kreislaufwirtschaft laut Koalitionsvertrag

Für effektiven Klima- und Ressourcenschutz soll auch eine „nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ auf den Weg gebracht werden. Die Strategie wird zudem als Grundlage dienen, um europaweit für einheitliche Standards zu werben. Ziel ist es, im Dialog mit dem Markt durchaus „ambitionierte“ und vor allem einheitliche Produktanforderungen festzulegen: So sollen Produkte zukünftig langlebig, wiederverwendbar, recycelbar und nach Möglichkeit reparierbar sein. Hier werden Hersteller deutlich stärker in die Verantwortung gezogen werden, wobei die Regierung Unternehmen bei der Implementierung der Maßnahmen unterstützen will. Auch weitere Ansätze zur Ressourcenschonung, wie die Förderung von Sharing-Modellen, eine Reduzierung der Retouren-Vernichtung und Anreize für verantwortungsvolle Entsorgung von Elektrogeräten und Batterien werden genannt.

Den Einsatz von Recyclat, ressourcenschonenden und recyclingfreundlichen Verpackungen will die Koalition mit Fondsmodellen belohnen und somit Anreize für die Wirtschaft schaffen. Hochwertige Stoffkreisläufe sollen zudem mit der Weiterentwicklung von Qualitätsstandards etabliert werden – konkret wird die Einführung eines neuen Recycling-Labels als Ziel genannt. Für den Einsatz von Recyclaten und Sekundärrohstoffen ist geplant, produktspezifische Mindestquoten festzulegen. Auch chemisches Recycling soll als Option ins Verpackungsgesetz aufgenommen werden.

Klimaschutz im Koalitionsvertrag: Sofort und als Querschnittsaufgabe

Natürlich wird auch dem Klimaschutz selbst Platz im Koalitionsvertrag eingeräumt. Im Umkehrschluss zu den Nennungen unter den anderen Kapiteln wird hier festgehalten, dass die Koalitionspartner Klimaschutz als Querschnittsaufgabe verstehen, die in jedem Ressort mitgedacht wird. Das heißt Gesetzesentwürfe, egal welcher Art, sollen grundsätzlich auch auf ihre klimarelevanten Aspekte hin überprüft und bewertet werden. Ein Klimaschutz-Sofortprogramm, inklusive Verordnungen und konkreter Maßnahmen soll noch im laufenden Jahr auf den Weg gebracht werden.

Fazit: Auf konkrete Worte konkrete Taten folgen lassen

Der Blick in den Koalitionsvertrag nährt durchaus die Hoffnungen, dass Nachhaltigkeit unter der neuen Regierung tatsächlich ressortübergreifend, zielgerichtet und konkret in die politische Umsetzung kommt. Dafür sprechen die Nennungen konkreter Maßnahmen über verschiedene Vertragsinhalte hinweg. Auch die Sicherung von Absatzmärkten für nachhaltige Leistungen durch die Vorreiterrolle der öffentlichen Hand sendet ein positives Signal. Die Entwicklung einer nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie, einer Mindestquote für Recyclate und die Förderung nachhaltiger Inhaltsstoffe sind greifbare Instrumente, um die öffentliche Beschaffung, z. B. von Reinigungsleistungen zukünftig nachhaltiger zu gestalten. Doch dafür braucht es nicht nur die politische Grundlage, sondern letztlich die Umsetzung durch die verantwortlichen Verwaltungseinrichtungen. Wie schon die Erhebung Analyse der Ausschreibungsunterlagen gezeigt hat, besteht hier noch eine deutliche Schere zwischen dem gegebenen Handlungsrahmen und seiner Ausschöpfung. So wird diese Legislaturperiode zunächst zeigen müssen, ob die Koalition Wort hält und ob sie auch die zugesagte Unterstützung für Wirtschaft und öffentliche Beschaffer in die Umsetzung bringt. Letztendlich wird es an diesen Akteuren liegen, ihrer Verantwortung nachzukommen und die neuen Nachhaltigkeitsstandards im geforderten Umfang zu implementieren.