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Kreislaufwirtschaft in der Praxis: Ein Experteninterview mit Timothy Glaz von Werner & Mertz

Timothy Glaz ist ein absoluter Experte im Bereich Kreislaufwirtschaft. Er ist seit 2014 als Leiter Corporate Affairs für die Nachhaltigkeitsinitiativen des Mainzer Unternehmens Werner & Mertz und seiner bekannten Ökopionier-Marke Frosch zuständig. So bringt er die Vorreiterrolle des Unternehmens diversen Fachkreisen und einer breiten Öffentlichkeit nahe. Im Interview gibt er interessante Einblicke, wie ganzheitliche Kreislaufwirtschaft gelebt werden kann.

Vergabe-Insider: Was verbirgt sich hinter dem Begriff: „Circular Economy“? Oft wird dieser als Synonym für Nachhaltigkeit verwendet, aber da gibt es durchaus Unterschiede, oder?

Glaz: Genau, der Nachhaltigkeitsbegriff ist historisch gewachsen und kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. Es handelt sich dabei um einen Sammelbegriff, der aktuell beliebig dehnbar ist und man kann darunter alles und nichts fassen. Deswegen bevorzugen wir es, relevante Teilaspekte deutlich konkreter zu fassen, z. B. mit dem Begriff „Circular Economy“ oder Kreislaufwirtschaft. Das bezeichnet, sehr vereinfacht ausgedrückt, den Kreislauf der Dinge zum Schutz von Ressourcen und Klima. Dahinter steht eine ganze Reihe weiterer Prozesse, die weit über den einfachen Kreislauf von Ressourcen hinausgehen. Jedenfalls bevorzugen wir diesen Begriff, weil er transparenter abbildet, für was sich das Unternehmen einsetzt und was es selbst umsetzt. Im Endeffekt geht es um den Kreislauf von Materialien, sowohl in Produkten als auch in Verpackungen. Gelebte Kreislaufwirtschaft bedeutet, dass man die gesamte Wertschöpfungskette analysiert und prüft, wo man Verluste vermeiden kann, damit Materialien im Kreislauf gehalten werden können.

Vergabe-Insider: Wie funktioni ert Kreislaufwirtschaft und wie geht Werner & Mertz dabei vor? Welche Vorteile ergeben sich daraus?

Glaz: Wenn man in Kreisläufen denkt, schafft das zunächst einmal ein Bewusstsein dafür, wie ein Lebenszyklus von Anfang bis Ende aussieht. Es geht darum zu hinterfragen, wo die Produkte herkommen, woraus sie bestehen, durch wie viele Hände sie gehen und wo sie nach der Verwendung landen. Dabei ist vor allem die Frage entscheidend, wie man Materialien im Kreislauf halten kann. Dies kann man gut am Thema Verpackungen erklären: Wir verwenden für unsere Produkte recycelte und recycelbare Verpackungen. Der Kreislauf bei diesem konkreten Beispiel bedeutet vereinfacht: Aus einer leeren Verpackung wird durch hochwertiges Recycling wieder eine neue Verpackung für den gleichen Zweck in gleichwertiger Qualität erzeugt.

Unserer Auffassung nach geht es darum, dass das Bewusstsein für den Kreislauf in allen Schritten mitgetragen wird. Für Einkäufer, v.a. für die professionelle Anwendung, stehen bspw. Einkaufspreis und Anwendbarkeit im Vordergrund. Unsere Aufgabe ist es, solche Aspekte mit einzubeziehen und praktische sowie ökologisch sinnvolle Lösungen zu entwickeln, wie etwa Nachfüll-Konzepte. Außerdem sind Elemente wie Haltbarkeit und Handhabbarkeit zu berücksichtigen. Wenn man für den Anwender mitdenkt, steigen die Chancen, dass Materialien (in diesem Fall die Verpackung) auch wirklich zurück in den Kreislauf geführt werden. Wir entwickeln Lösungen, die für alle (für uns wie auch für die Anwender) einen Mehrwert bieten.

Der Ansatz von Werner & Mertz beruht darauf, Produkte und Verpackungen ganzheitlich zu denken. Das bedeutet, dass man sich eingehend mit sämtlichen Prozessen auseinander setzen muss – auch über die Unternehmensgrenzen hinaus (z.B. Lieferanten etc.). Halbherzige Zugeständnisse führen da nicht weit, wenn kein umfassendes Bewusstsein geschaffen wird. Wenn man nicht wirklich verstanden hat, was man verbessern will und warum, entsteht kein echtes Bewusstsein für Transformation. Nur notdürftig an Symptomen herumzudoktern, nach dem Motto: „Wir machen mal eine grüne Limited Edition“, führt nicht weit. Man muss sich klar darüber werden, worauf man hinauswill und dann einsteigen, um weiterzumachen, in eine klar definierte Richtung.

Vergabe-Insider: Wie kann Unternehmen der Einstieg in die Kreislaufwirtschaft gelingen und wo sollte man im ersten Schritt ansetzen?

Glaz: Wir sind eingestiegen, indem wir bei EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) und Cradle to Cradle gelernt haben, wie unsere Unternehmens-Prozesse genau aussehen und welche Wirkungen sie im ökologischen, bzw. ressourcenrelevanten Bereich haben. Wenn man diese Daten hat, kann man zielgerichtet Prozesse steuern.

Man kann auch selbst ansetzen und sich diese Themen verdeutlichen. Als Einstieg eignet sich beispielsweise die Optimierung der Verpackungen, weil es da schon eine Reihe von Lösungen und Anbietern gibt. Oder etwa bei den Etiketten: Wenn ich weiß, dass diese im Recyclingprozess ein Problem darstellen (z.B. durch die Druckfarbe oder den Kleber), muss ich mich der Thematik annehmen und genau analysieren, wie schnell man daran etwas ändern kann. Aber auch Wasser ist ein relevantes Thema für alle. Also fragt man sich, wie und mit welchem Aufwand man eingreifen kann, um diese Ressource zu schonen. Hier gibt es zahlreiche Ansätze.

Es geht themenübergreifend darum, die eigenen Möglichkeiten einzuschätzen und für die Zukunft strategisch zu planen. Dabei lässt sich nicht pauschal sagen, wo hier konkret der erste Schritt liegt, denn erst wenn man das Gesamtbild analysiert hat, kann man potentielle Hotspots identifizieren und in Angriff nehmen. Das sollte differenziert und unternehmensbezogen betrachtet werden.

Vergabe Insider: Für die meisten Unternehmen stehen die Themen Plastik und Abfallvermeidung im Fokus. Welche Rolle spielen diese für Werner & Mertz?

Glaz: Abfallvermeidung wäre definitiv ein Fortschritt im Sinne der Umwelt. Wir haben Prognosen, dass sich die Kunststoffproduktion bis 2060 verdreifachen wird – da reden wir von über 1,2 Mrd. Tonnen. Das ist verrückt und nach heutigem Stand der Infrastruktur kann man nicht davon ausgehen, dass Recycling oder Kreislaufwirtschaft das kompensieren kann. Vielmehr muss man davon ausgehen, dass sich diese Werte weitestgehend auf Neuware beziehen, die ohnehin schon sehr viel Energie verbraucht und dadurch CO2-Emissionen verursacht (pro Gramm Neuplastik bis zu 9 Gramm CO2). Um einen großen Schritt weg von dieser Entwicklung hin in Richtung Ressourcen- und Klimaschutz zu gehen, sollte die Neuproduktion von Kunststoff möglichst vermieden werden. Für Werner & Mertz haben sich hierzu zwei Ansätze herauskristallisiert:

Der erste Ansatz bezieht sich auf die Vermeidung von Abfall, indem Kunststoffe im Kreislauf gehalten werden. Durch den Einsatz von Recyclat können wir zwischen 60-70 % CO2 einsparen. Zwar brauchen wir immer noch CO2, weil auch das Sammeln, Sortieren und Extrudieren (=das Aufschmelzen) energieaufwendige Schritte sind. Im Vergleich zur Neuproduktion von Kunststoff sind hier die Emissionen aber deutlich geringer. Der zweite Ansatz ist, dass wir uns auf Nachfüll-Konzepte konzentrieren. Unsere Nachfüllbeutel sparen im Vergleich zu einer Flasche etwa 70 % Kunststoff ein. Wir sparen hier also nicht nur Neuplastik, sondern auch den Einsatz von Recyclat. Dafür werden die Flaschen so produziert, dass sie entsprechend lange haltbar sind. Auch die Nachfüllbeutel sind aus Monomaterial, damit auch sie hochwertig recycelt werden können. Das Beispiel zeigt, wie man Schritt für Schritt tiefer in die Optimierung eintauchen kann, mit stetig dazugewonnener Expertise.

Vergabe-Insider: Wird Ihrer Meinung nach in der Politik genug für die Kreislaufwirtschaft getan?

Glaz: Es ist erkannt worden, dass Kreislaufwirtschaft einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Das findet sich mittlerweile auch im Koalitionsvertrag wieder. Der öffentliche Diskurs hat das Bewusstsein in der Politik dafür gefördert, dass dieses Thema nicht allein das Umweltministerium, sondern genauso die Wirtschaft betrifft. Insofern ist es eine günstige Fügung, dass Umwelt- und Wirtschaftsministerium in der Verantwortung derselben Partei liegen.

Ein zentraler Punkt ist da der öffentliche Einkauf. Wenn es um das sogenannte „Green Public Procurement“, also den öffentlichen Einkauf nachhaltiger Produkte geht, sind sowohl das Umwelt- als auch das Wirtschaftsministerium gefordert, um Veränderungen in der Gesetzgebung zu realisieren. Mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz sollte es öffentlichen Beschaffern ermöglicht werden, sich für nachhaltige Produkt zu entscheiden. Leider gab es da in den letzten Zügen aufgrund politischer Interventionen Änderungen an der zuletzt verabschiedeten Änderung des Gesetzes, die das Thema nicht unbedingt weitergebracht haben. Für Beschaffer müsste ein klares Regelwerk mit konkret definierten Kriterien geschaffen werden, damit Einkäufer qualifizierte Entscheidungen treffen können. Das ist ein großer Hebel für eine wirtschaftliche Transformation. Auch die Symbolkraft ist nicht zu unterschätzen, denn wenn der Gesetzgeber die Regeln, die er der Wirtschaft vorgibt, für seine eigenen Beschaffungen nicht einhält, macht er sich unglaubwürdig. Aber es stimmt mich optimistisch zu hören, dass das Problem bekannt ist und erneut angegangen wird.