Zum Inhalt Zum Hauptmenü

Ist das Kunststoffrecycling am Ende?

Die Corona-Pandemie hatte in der ersten Hälfte des Jahres 2020 einen gravierenden Einfluss auf viele Wirtschaftsbereiche – das gilt auch für das hochwertige Kunststoffrecycling. Denn obwohl der Plastikmüll in Privathaushalten aufgrund der weitverbreiteten Homeoffice-Regelungen und der um etwa 10 % gestiegenen Anzahl der Online-Shop-Bestellungen zugenommen hat, ist die Nachfrage nach Recyclat in Deutschland eingebrochen.

Das wirkt auf den ersten Blick paradox, hat aber eine einfache Ursache: In Folge der Corona-Pandemie ist der Ölpreis stark gesunken. Das billige Rohöl macht die Herstellung von Neuplastik damit noch günstiger als ohnehin schon.[1]

Kunststoffrecycling wird wirtschaftlich immer unattraktiver – mit gravierenden Folgen

Im direkten Preisvergleich wird das werkstoffliche Recycling von gebrauchten Kunststoffverpackungen daher wirtschaftlich noch unattraktiver – mit gravierenden Folgen für die Umwelt und den deutschen Recyclingmarkt. Denn dies könnte zur Folge haben, dass viele Hersteller, die bisher Recyclat für Produkte und Verpackungen verwendet haben, wieder auf Neuware umsteigen.[2] Für den Klima- und Umweltschutz sowie die Kreislaufwirtschaft in Deutschland wäre das ein großer Rückschritt.

Peter Kurth, Präsident des BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft, ruft daher die öffentliche Beschaffung in ihrer Vorbildfunktion zu nachhaltigem Wirtschaften auf: „Der Rückgang der Ölpreise hat die ohnehin angespannte Situation vieler Kunststoffrecycler nochmals verstärkt. Aufwendig hergestellte Recyclate finden keine Abnehmer, Investitionen in besseres Recycling werden verschoben oder gestrichen, weil eine Refinanzierung chancenlos erscheint. Das Kunststoffrecycling droht aufgrund der Untätigkeit der Politik empfindlich geschädigt zu werden. Wer eine nachhaltig erfolgreiche Wirtschaft will, muss jetzt die geeigneten Instrumente einsetzen, die seit Langem bekannt sind. Ein geändertes Beschaffungswesen, das ökologische Aspekte ernst nimmt, steht dabei ganz oben auf der Tagesordnung.“

Die Politik muss Verantwortung übernehmen

Die Europäische Union hat nun Ende Juli 2020 eine Plastiksteuer beschlossen. Ab Januar 2021 sollen dann alle Mitgliedsstaaten pro Kilogramm unrecyceltem Plastik eine Abgabe von 80 Cent zahlen. Damit soll ein Anreiz zur Plastikvermeidung geschaffen werden.

Während einige europäische Branchenverbände die Plastiksteuer kritisieren, ist Reinhard Schneider, Inhaber des Reinigungsmittelunternehmens Werner & Mertz und Träger des Deutschen Umweltpreises 2019, ein Befürworter der Gesetzesinitiative. Allerdings sieht er die Steuer nur als Anfang. Um den Einsatz von Recyclat tatsächlich wirkungsvoll anzukurbeln, fordert er darüber hinaus auch eine Incentivierung des Recyclateinsatzes: „Die Plastiksteuer war längst überfällig. Es kann heutzutage nicht mehr angehen, dass das für die Umwelt schlechteste Vorgehen auf Dauer das billigste bleibt. Letztlich ist die Steuer ja die Beseitigung einer versteckten Subvention, da alle anderen Verwendungsarten von Rohöl bereits besteuert sind. Wenn Plastik unversteuert bleibt, vermittelt das den Herstellern ja quasi: Macht aus dem Rohöl am besten Plastik, das ist am günstigsten. Die Steuer ist also ein richtiger Anfang, aber man sollte noch mehr tun: zum Beispiel müssten die Gebühren, die aktuell beim Recycling anfallen, reduziert werden. Momentan müssen Hersteller von Recyclaten noch 100 % Entsorgungskosten für ein Material zahlen, das in der Kreislaufwirtschaft ja gar nicht entsorgt, sondern weiter im ökologischen Kreislauf gehalten wird. Hier gibt es also noch Möglichkeiten, das hochwertige Kunststoffrecycling weiter zu fördern. Deutschland ist auf dem richtigen Weg, da hier ohnehin schon das System „Gelber Sack“ eingeführt wurde für den uns Europa beneidet. Und wenn die Sortier-Disziplin auch wieder besser und stärker wird, können wir hier sicherlich eine Vorbildrolle einnehmen – und das sogar mit Exportchancen.“[3]

Schließlich gibt es in Deutschland längst Lösungen zur Verhinderung der Plastikvermüllung der Umwelt – sie müssen von der Öffentlichen Hand nur stärker eingefordert werden. Mithilfe des Gelben Sacks kann Altplastik aus Endverbraucher-Sammlungen hochwertig aufbereitet werden. Dadurch wird Plastik zum wertvollen Rohstoff statt zum umweltschädlichen Müll.

Dennoch fristet die Technologie des werkstofflichen Kunststoffrecyclings nach wie vor ein „Schattendasein“, da die Verwendung von neuem Plastik für Hersteller im direkten Vergleich noch zu günstig ist.

Michael Wiener, CEO von Der Grüne Punkt, erklärt dazu: „Das Potenzial der Kreislaufwirtschaft für den Klimaschutz gerade für Kunststoff ist bei Weitem nicht ausgeschöpft. Daneben lassen wir auch die wirtschaftlichen Chancen liegen, die die Kreislaufwirtschaft bietet. Eine Kreislaufwirtschaft, die diesen Namen auch verdient, schafft Arbeitsplätze und holt Wertschöpfung in die Europäische Union, die wir dringend brauchen. Stattdessen erleben wir ein umfassendes Marktversagen. Recyclingkunststoff spart bis zu 50 Prozent der Treibhausgasemissionen, die durch neuen Kunststoff erzeugt werden – das schlägt sich im Preis aber nicht nieder. Nur die Festlegung von definierten Recyclateinsatzzielen für bestimmte Produktgruppen durch die Politik ermöglicht die Schaffung von nachhaltigen Recyclatmärkten und verschafft die dazu nötige Investitionssicherheit. Ab Juli 2020 übernimmt die Bundesregierung die EU-Ratspräsidentschaft – eine gute Gelegenheit, entsprechende Maßnahmen voranzubringen.“

Zum Teil werden die Forderungen von Verbänden und Unternehmen sogar von der breiten Öffentlichkeit befürwortet. Denn auch immer mehr Verbraucher sehen Plastik als das größte (Umwelt-) Problem der heutigen Zeit[4] und erwarten daher Lösungen zugunsten einer nachhaltigen Wirtschaft.[5] Ein Grund mehr für die Öffentliche Hand, die Kreislaufwirtschaft in Deutschland zu unterstützen und sich zu einer nachhaltigen Beschaffung zu bekennen.

Was jetzt zu tun ist

Die öffentlichen Vergabestellen haben eine große Hebelwirkung auf die Wirtschaft und somit auch auf die Kreislaufwirtschaft in Deutschland. Das bedeutet, dass nur mit der bewussten Entscheidung für grüne Produkte vonseiten der öffentlichen Beschaffung das Kunststoffrecycling in Deutschland gerettet werden kann. Dazu braucht es bei der Ausschreibung und Vergabe einen deutlich stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit. Umsetzbar wäre das beispielsweise mit klar definierten Mindestquoten für den Einsatz von Recyclaten innerhalb der Ausschreibung.


[1] https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/corona-krise-recycling-industrie-leidet-unter-sinkendem-plastikkonsum-a-c8658200-7d36-48d5-a1ab-2294015670de

[2] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/wie-billiges-oel-recycling-ware-vom-kunststoffmarkt-verdraengt-16806328.html

[3] Interview mit Reinhard Schneider, MDR Aktuell vom 27.07.2020.

[4] Top of Mind Thema 2019 in Bezug auf Umwelt und Ökologie, Quelle: GfK Unternehmergespräch 2020.

[5] GfK Webinar: Im Auge des Sturms, 2020.